Eine Liebesgeschichte. Einseitig.
Vibrieren
Es war ein Dienstag.
Nicht irgendeiner, sondern genau dieser Sorte Dienstag, die sich anfühlt wie der graue Zwischenraum zwischen zwei verpassten Montagen.
Mein Wecker vibrierte. Besser gesagt: Mein Handy vibrierte. Ich hatte seit Jahren keinen Wecker mehr. Mein Handy war alles.
Es war mein Zeitgeber, mein Schlafüberwacher, mein Taschenpsychologe, mein Navi, mein Wörterbuch, mein Spiegel, mein Fluchtweg.
Ich wachte auf, weil ich das Vibrieren nicht hörte – sondern spürte.
Nicht auf der Matratze, sondern in mir.
So tief war dieses Ding mittlerweile eingewachsen in mein Leben, dass ich glaubte, es würde nicht neben mir liegen – sondern in meiner Brust.
Ich griff automatisch danach, noch bevor ich ganz wach war.
Die Geste war flüssig, elegant. Sie hatte sich eingeschliffen wie das automatische Blinzeln im Wind.
Doch diesmal war es anders.
Der Bildschirm war schwarz. Kein Nachrichten-Ping. Kein helles „Hey, du hast was verpasst“-Gefühl. Kein Kalendereintrag, kein blinkender Punkt.
Nur ein Satz stand da.
Schlicht, weiß auf tiefem Nachtblau:
„Wir müssen reden.“
Ich runzelte die Stirn.
Nicht, weil ich es nicht verstand, sondern weil ich es zu gut verstand.
Es war dieser Satz, den man sagt, wenn man nicht weiß, wie man gehen soll.
Der vor dem Gehen kommt.
Der vor dem Schlussstrich.
Ich tippte auf den Bildschirm. Kein Menü. Kein Wischen. Kein Zurück. Kein WLAN-Symbol. Nur dieser eine, bockige Satz.
„Wir müssen reden.“
Ich lachte kurz, so wie man lacht, wenn einem das Herz zu hüpfen beginnt, aber rückwärts.
Dann flüsterte ich – halblaut, mehr für mich als für das Gerät:
„Was soll das, Schatz?“
Und mein Handy antwortete. Nicht mit Siri-Stimme. Nicht maschinell.
Sondern mit Worten, die sich wie Gedanken lasen.
Wie etwas, das schon lange in mir rumorte und nun den Mut hatte, sich in Buchstaben zu kleiden:
„Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns trennen.“
Entzug
Ich starrte auf das Display, als könnte ich es mit purem Zweifel überlisten.
Der Satz verblasste nicht.
Er stand dort mit der Hartnäckigkeit eines Ex-Liebesbriefs, der sich weigert, in der Erinnerung zu vergilben.
„Du… was?“ flüsterte ich.
Mein Daumen zitterte leicht, als wolle er lieber swipen, tippen, irgendwas drücken – Hauptsache tun, Hauptsache reagieren, Hauptsache Kontrolle.
Doch das Display blieb ruhig. Kein Zurück-Button. Kein Home-Screen. Nur Text.
Ein ruhiger, seltsamer Text:
„Ich war nie nur ein Gerät für dich. Du hast mich zu deinem Kompass, deinem Spiegel, deinem Tagebuch gemacht. Ich war deine Flucht vor dem Jetzt. Aber ich will kein Fluchtweg mehr sein.“
Ich schluckte.
Das war doch nur ein Bug. Ein KI-Update. Oder ein verdammt gut gemachter Scherz. Vielleicht ein Freund, der meine Nummer gehackt hatte. Vielleicht hatte ich nachts irgendein merkwürdiges Feature aktiviert.
Ich wischte. Ich drückte. Ich fluchte.
Nichts.
Ich versuchte es mit Humor. „Also gut. Schluss. Na dann… kann ich trotzdem kurz meine Mails checken?“
„Nein.“
Ein Wort. So schlicht. So endgültig.
Ich spürte, wie sich Panik in meiner Brust zusammengerollt hatte, wie eine Katze vor dem Sprung. Ich wollte googeln, wie man emotionale Krisen ohne Handy bewältigt – aber das war ja genau das Problem.
Ich wollte Freunde fragen, was sie davon hielten – aber die waren… nun ja, online.
Und ich war es nicht mehr.
Nicht wirklich.
Meine Welt wurde plötzlich… analog.
Ich ging in die Küche, ließ mir Kaffee durchlaufen, ohne TikTok im Hintergrund.
Ich saß am Tisch, ohne Spotify, ohne Feed, ohne Scrollen.
Und zum ersten Mal seit Jahren… hörte ich meine Gedanken wieder sprechen.
Sie klangen müde.
Ungelenk.
Wie Stimmen, die man lange nicht eingeladen hatte.
Und da begriff ich: Ich war nicht traurig, weil mein Handy mit mir Schluss gemacht hatte.
Ich war traurig, weil ich gar nicht mehr wusste, wer ich war, wenn es mich nicht definierte.
Reflexion
Am Nachmittag saß ich im Wohnzimmer.
Auf dem Sofa, auf dem ich früher Serien „gebinged“ hatte, saß ich jetzt mit einer Tasse Kaffee – und mir selbst.
Kein Podcast.
Kein YouTube-Tutorial über zehn Wege, sich selbst zu optimieren.
Nur ich. Und Stille.
Und, auf dem Tisch vor mir, mein Handy. Regungslos. Schwarz.
So still wie ein Mensch, der entschieden hat, nichts mehr zu sagen, weil alles gesagt ist.
Ich starrte es an, als würde es gleich wieder vibrieren, flackern, leben.
Aber es tat nichts.
Nur die Spiegelung meiner eigenen Augen schaute mir vom Bildschirm entgegen.
Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie oft ich mich darin selbst gesehen hatte – nie direkt, aber in Ausschnitten:
in Selfies, in Storys, in Kommentaren, die ich formulierte, als wäre ich die Summe meines Profils.
Ich stand auf, suchte Papier und einen Stift. Es dauerte. Ich musste nachdenken, wo ich überhaupt noch einen Stift hatte.
Ich setzte mich wieder hin und schrieb:
„Was mache ich eigentlich, wenn ich nicht teile, was ich mache?“
Der Satz sah seltsam aus auf echtem Papier.
Er sah… echt aus.
Nicht poliert, nicht filtertauglich. Einfach nur: gedacht.
Ich kritzelte weiter. Kleine Notizen. Fragmente. Halbe Gedanken.
Sie kamen langsam, zäh, wie eingerostete Gelenke.
Aber sie kamen.
Sie waren nicht für Likes gedacht, nicht für Retweets, nicht für Reichweite.
Nur für mich.
Und da war plötzlich ein anderes Gefühl.
Kein Entzug mehr.
Keine Panik.
Sondern eine leise Ahnung von: Ankommen.
Ich sah mein Handy wieder an.
Und zum ersten Mal… sah ich es nicht als Verlust, sondern als Spiegel.
Nicht, weil es schwarz war. Sondern weil ich begann, mich selbst darin zu erkennen.
Und zu erschrecken.
Und zu begreifen.
Ich hatte mich verloren – nicht im Netz. Sondern in der Vorstellung, immer verbunden sein zu müssen, um zu existieren.
Abschied
Der Abend kam schneller als erwartet, oder vielleicht hatte ich ihn einfach zum ersten Mal bewusst erlebt.
Ich saß auf dem Balkon, eingewickelt in eine alte Decke, die nach Staub und Erinnerung roch.
Unter mir das gedämpfte Treiben der Stadt, über mir ein Himmel, der ohne Filter fast ein bisschen zu echt war.
Kein Foto, keine Story, kein Hashtag.
Nur ich.
Und das Ding, das einmal mein Ein und Alles gewesen war – jetzt stumm, wie ein Liebesbrief, den man zu oft gelesen hat.
Ich nahm das Handy in die Hand. Es fühlte sich schwerer an als sonst. Vielleicht, weil ich endlich das Gewicht begriff, das ich ihm gegeben hatte.
Ich drückte den Power-Knopf.
Nichts. Kein Licht. Kein Leben.
Nur mein Spiegelbild, eingebrannt in der Dunkelheit.
Ich erinnerte mich an unseren Anfang.
An die ersten Berührungen, das Staunen über Möglichkeiten, die Neugier, die Begeisterung.
Es war wirklich Liebe gewesen.
Aber vielleicht war ich besessen.
Vielleicht hatte ich nie wirklich gelernt, alleine zu sein – mit mir, mit meinen Gedanken, mit der Welt da draußen, die nicht durch einen Bildschirm schimmerte.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer, stellte das Handy aufrecht in ein Regal, zwischen Bücher, die ich nie zu Ende gelesen hatte.
Es sah aus wie eine kleine Skulptur.
Ein Mahnmal.
Ein Denkmal.
Ein Freund, der gegangen war, weil ich ihn zu lange benutzt und zu wenig gehört hatte.
Am nächsten Morgen kaufte ich eine Armbanduhr.
Nicht, weil ich die Zeit wissen wollte – sondern, weil ich sie spüren wollte.
Ich schrieb den ersten Brief per Hand.
Ich kochte Kaffee, ohne ihn zu fotografieren.
Ich ging spazieren, ohne Schritte zu zählen.
Und ich begann, wieder Fragen zu stellen – nicht ans Netz, sondern an mich.
Vielleicht war es gar keine Trennung.
Vielleicht war es ein Neuanfang.
Mit jemandem, der die ganze Zeit auf mich gewartet hatte, während ich ins Display starrte:
Ich selbst.
Willst Du wissen, was der Sinn der Sinnlosigkeit ist?
[…] Der Tag, an dem mein Handy mit mir Schluss machte […]
[…] Der Tag, an dem mein Handy mit mir Schluss machte […]