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Zwischen Regal 5 und dem Sinn des Lebens

Einleitung – Der ganz normale Supermarktbesuch

Es war ein ganz gewöhnlicher Vormittag, als ich den Supermarkt betrat. Die Regale waren voll, der Duft von frischem Brot lag in der Luft, und die Menschen schoben ihre Einkaufswagen mit der gleichen monotone Präzision wie in jeder anderen Filiale. Ich nahm den Weg zu den Milchprodukten, dann nach links zum Käse – ja, wie so oft. Der übliche Alltagstrott. Ich hatte nicht erwartet, dass ich hier, zwischen der Gouda- und der Camembert-Abteilung, den Sinn des Lebens finden würde.

Doch dann, zwischen Regal 5 und 6, traf ich sie: eine alte Frau mit schneeweißem Haar und einem Blick, der so durchdringend war, dass ich das Gefühl hatte, sie würde jede meiner Gedanken schon kennen, bevor ich sie überhaupt gedacht hatte. Sie stand da, ganz ruhig, als würde sie auf etwas warten. Vielleicht auf den Käse. Vielleicht auf den großen Moment. Vielleicht auf die Antwort, die wir alle suchen. Aber ich wusste noch nicht, was dieser Moment für mich bereithielt – und ob ich überhaupt bereit war, ihn zu erkennen.

Der erste Kontakt – Die alte Frau und das Käseregal

„Wählen Sie gut aus“, sagte sie plötzlich, ohne mich direkt anzusehen, als würde sie mit dem Käse sprechen und nicht mit mir.

Ich schaute auf das Regal, dann wieder zu ihr. Es war fast, als würde sie auf irgendeine tiefere Weisheit hinweisen, die sich in diesem unscheinbaren Moment verbarg.

„Der Brie dort“, fuhr sie fort, „ist der mit der besten Geschichte.“ Sie deutete mit einem langen Finger auf einen runden, abgepackten Käse. „Er hat viel erlebt. Aber wie jeder von uns ist er irgendwann zur Reife gekommen. Und das ist der Sinn des Lebens, mein Junge.“

Ich war verwirrt, aber ich wollte nicht unhöflich wirken. Also nickte ich und griff mechanisch nach dem Brie, der von der Frau so viel Wissen über den „Sinn des Lebens“ zu bieten schien.

„Was meinen Sie mit Reife?“, fragte ich, immer noch unsicher, ob sie sich in der richtigen Abteilung befand oder einfach ein wenig zu reif war.

„Reife kommt mit der Zeit, mein Junge“, antwortete sie, „und mit vielen Schrunden, die du nicht siehst, aber die da sind. Wie bei diesem Käse. Du weißt nie, wie der Blick eines Menschen wirklich aussieht, bevor du ihn in den richtigen Moment stellst.“

„Käse… und Moment…“ murmelte ich und schaute wieder zwischen den Regalen und ihrem ernsten Blick hin und her.

„Glauben Sie mir, der Käse weiß mehr über das Leben als wir“, sagte sie mit einem geheimnisvollen Lächeln.

Ich stand nun völlig ratlos da, als hätte ich in einem Supermarkt Gott getroffen. Oder vielleicht war es einfach der Brie, der mir mehr beibrachte, als ich zugeben wollte.

Der unerwartete Dialog – Über Käse und den Sinn des Lebens

„Also… was sagen Sie, was ist der wahre Sinn des Lebens?“, fragte ich vorsichtig und versuchte, nicht zu sehr von der Absurdität des Moments überwältigt zu werden. Die alte Frau sah mich lange an, als würde sie mich durchdringen, meine Seele aus der Ferne lesen. Sie schien zu überlegen, ob sie die Wahrheit teilen sollte – oder ob sie mir lieber den Rest des Lebens selbst überlassen sollte.

„Der Sinn des Lebens ist einfach“, sagte sie schließlich, „du wirst ihn finden, wenn du aufhörst, danach zu suchen.“

Ich runzelte die Stirn.

„Wie meinen Sie das?“

„Suchen ist eine Ablenkung. Der wahre Sinn ist da, direkt vor dir. Aber du brauchst den richtigen Moment, um ihn zu erkennen.“

„Moment? Wie der hier?“, fragte ich und deutete auf das Regal voller Käse.

„Genau. Genau dieser Moment, zwischen dem Brie und dem Emmentaler. Vielleicht bist du noch nicht bereit.“

Ich starrte auf die Käseauswahl, als würde sie plötzlich für mich eine tiefere Bedeutung bekommen. Doch dann nahm sie plötzlich den Cheddar von der obersten Regalecke und sagte:

„Hier, das ist der Käse der Klarheit. Probier ihn. Manchmal hilft es, Dinge einfach zu kosten, um zu verstehen, wie sie schmecken.“

Ich nahm den Cheddar, nicht ganz sicher, was ich gerade tat, aber merkte, wie ich in ihrem Blick eine gewisse Wahrheit spürte. Ein stiller Dialog zwischen uns, ohne Worte, nur Käse und der flimmernde Moment der Erkenntnis.

Der Wendepunkt – Ein Gespräch mit Käse und der Erkenntnis

Ich biss in den Cheddar. Es war kein außergewöhnlicher Käse, ehrlich gesagt – ziemlich standardmäßig, ein wenig scharf, aber nichts, was man nicht schon kannte. Doch plötzlich, in dem Moment, als ich den Geschmack auf meiner Zunge spürte, hatte ich das Gefühl, als würde ein Schalter umgelegt. Die alte Frau hatte recht.

Vielleicht war der Sinn des Lebens wirklich in den kleinen Dingen versteckt – in den Gesprächen, die wir mit uns selbst führen, den Momenten, in denen wir uns von den Fragen des Lebens nicht überwältigen lassen. Vielleicht ist es einfach, den Tag zu genießen, wie er kommt. In einem Supermarkt, zwischen Regal 5 und einem Stück Käse.

„Ich verstehe“, murmelte ich, und sie nickte leicht, als hätte sie das schon gewusst.

„Der Sinn des Lebens ist, dass er für dich bestimmt ist, genau hier und jetzt. Aber er wird nie in einem Buch stehen. Und er wird sicher nicht in einer Packung Cheddar versteckt sein“, sagte sie mit einem geheimnisvollen Lächeln.

Ich stellte den Cheddar zurück. Vielleicht war sie doch mehr als nur eine alte Frau im Supermarkt. Vielleicht war sie, was ich brauchte, um zu verstehen, dass der wahre Sinn nicht zu finden ist – sondern zu leben, in jedem Moment. In jedem Bissen.

Auflösung – Der Supermarkt als Ort der philosophischen Erkenntnis

„Na gut“, sagte ich, immer noch ein wenig verwirrt, „aber was passiert jetzt? Wie komme ich weiter?“

Die alte Frau lächelte und klopfte mir auf die Schulter. „Du gehst weiter. Aber pass auf, was du tust, wenn du das nächste Mal einen Wagen fährst. Das Angebot von Regal 7 ist wirklich gefährlich. Einmal im Leben, mein Junge – dann stehst du für den Rest deiner Existenz in einer Beziehung mit einem Laib Brot.“

„Was?“

„Du hast jetzt den Weg gefunden, also geh und nimm dir den Käse. Aber vergiss den Laib Brot nicht, sonst wird der Rest deines Lebens ein Snack.“

Ich stand da, völlig perplex.

„Ich bin ehrlich gesagt eher an einem Baguette interessiert.“

„Gut, dann nimm das. Aber denk daran, du kannst dem Brot nie ganz vertrauen. Es hat mehr zu sagen, als du denkst.“

Mit dieser kryptischen Warnung verabschiedete sie sich und wanderte in Richtung der Tiefkühlabteilung.

Ich stand noch eine Weile da und betrachtete die verschiedenen Käsesorten.

Vielleicht war der wahre Sinn des Lebens wirklich so einfach: Immer nach dem Käse greifen, aber nie vergessen, dass das Brot nicht weit entfernt ist.

Ich nahm den Brie. Und das Baguette.

ENDE.

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